Donnerstag, 19. Juni 2008

Bewegung 1


Schiers besitzt eine Umfahrungsstrasse, ansonsten entspricht der Ort einem typischen Taldorf : etwas an den Berg geschoben, nach zwei Richtungen mit offenem Blick für die Weite des V-Ausschnittes und an der vierten Seite von der Talsohle abgetrennt durch zwei Verkehrsadern, weshalb der Weg zur Landquart hinunter unter der Bahnlinie und der Umfahrungsstrasse hindurch führt.Lebensmittelpunkt sind zwei Plätze, der eine stellt zugleich eine Kreislinie dar, die von der Geburtsabteilung des Spitals, diesem selbst, der EMS (evangelische Mittelschule), einem Laufbahnberatungsbüro, den Gebäuden des Alters- und Pflegeheims sowie der Kirche mit dem Friedhof durchlaufen wird. Dieser auffällig runde, symbolische Spiegel eines öffentlichen Lebensrades lädt zum Nachdenken ein. Ich lenke meine ersten Schritte zuerst in die Kirche, danach in die Bibliothek; als "out of time" würde ich meine Erfahrungen an diesem trüben Montagnachmittag bezeichnen.Auf einem Stuhl im Kircheneingang liegt auffällig plaziert ein Knirps (Schirm). Mir kommt in den Sinn, dass nicht der Besitzer diesen dorthin gelegt haben könnte, sondern jemand, der diesen bei seinem nächsten Besuch darauf aufmerksam machen wollte. Mein Erinnerungsfoto hat wegen dem spärlichen Licht im Kircheneingang wenig Bedeutung, ist aber immerhin ein erstes Dokument für mein Thema, die Topophilie * , weshalb ich nun meine Schuhe ins Schräglicht der Sonne stelle und meinen Pullover zusammen mit den Gesangsbüchern fotografiere. Kirchen sind wundersame Arbeitsorte, da man oft alleine und ungestört bleibt in einer gleichwohl vorbereiteten Umgebung. Danach mache ich mich auf die Suche nach Begegnungen. Mein Projekt sind Inszenierungen: "Würden Sie für mich ein Kleidungsstück an einen von Ihnen gewählten Ort legen und von mir fotografieren lassen? ". Im Zuge dieser Frage entwickelt sich meist ein Gespräch, in dem ich von der Idee des Museums in Bewegung erzähle: in gleicher Weise, wie ein Kleidungsstück in der Öffentlichkeit den Raum z.B. einer Garderobe für einen Augenblick ersetzen (und zugleich darstellen) kann, erzeugen eine Performance, eine Lesung, ein Konzert oder eine andere Veranstaltung im "offenen Museum Prättigau" für eine bestimmte Zeit einen nicht vorhandenen Kunst-Raum.


Manchmal steht das Gespräch, manchmal die Inszenierung der Polaroid-Fotografie im Vordergrund; oder jemand erzählt etwas von sich, wie z.B. die ältere Frau von einem sie berührenden Moment, als sie kürzlich im Saal der Kirchgemeinde zusammen mit gleichaltrigen tanzte und unten im Friedhof eine Beerdigung stattfand. Plötzlich ist das Bild von den Lebensphasen wieder da, doch sind die Orte auf dem topografischen Kreis nicht mehr nur Gebäude, sondern angereichert mit Geschichten, die sie miteinander verbinden.Konkrete weitere Schritte in Vorbereitung :- Ein Fragebogen, der an die Gemeinde verteilt wird (siehe Ausgang und Eingang, Pläne für das Projekt Raum für die Kunst )- Abklärungen über eine zeitweilige Nutzung eines leerstehenden Haus im Zentrum von Schiers- Schilder für Schiers. Wegmarkierungen mit bestimmten Formen und ohne Text an gewählten Orten plazieren- im Herbst: weitere Begegnungen mit BewohnerInnen, um mit ihnen gemeinsam private Räume im Aussenraum fotografisch zu inszenieren.

Schiers, 7.-9.04.08.
*Mit dem Begriff Topohilie umschreibt der französiche Philosoph Gaston Bachelard eine Poetisierung der geliebten Räume, um deren Wesen durch die Erinnerung und die Einbildungskraft zu entschlüsseln.



















Mittwoch, 11. Juni 2008

der Künstler



Conrad Steiner

seine Gastgeber:
Fam. Vera und Kornel Bay, CH-7240 Schiers


Ausgang und Eingang

G E S P R Ä C H E
In Gesprächen mit den BewohnerInnen interessieren mich drei zusammenhängende Themen.

1. Die Frage nach dem Schönen in und an der Natur.- Wie begreifen wir Natur als einen Raum? Als einen immer enger werdenden Fluchtort, eine Insel? Ist sie unseren Anstrengungen schutzlos ausgeliefert oder vermag sie sich zu wehren? Ist Natur dem Geheimnis oder der Materie zuzurechnen?


2. Die Veränderung.- Wodurch ist die Natur nocheinmal in die Richtung zu bewegen, wo die ökonomische Verwertung sie überwunden und verdrängt hat? - Wie kann ein Sich-zurückversetzen in die Natur stattfinden mit dem Ziel, der Erkenntnis Zutritt zu ihrer Andersartigkeit gegenüber der ökonomischen Verwertung zu verschaffen? Gefordert wären weniger Anschlüsse an die Romantik, obwohl die Ästhetik der Natur erst dort, im 19.Jahrhundert, als eine touristisch verwertbare Grösse erkannt wurde. Sich in die immanenten Fragen der Natur an einem Ort hinein zu bewegen.


3. Die konkrete Situation einer Landschaft.- Wie kann Natur in Schiers/Prättigau/Graubünden erhalten werden? – durch Naturparks, sogenannte stille Orte, wie sie für andere Orte der Schweiz geplant sind?- Wie sieht eine befriedigende Lösung für die Fragen der technischen und zivilisatorischen Bedürfnisse wie etwa Verkehr, Gewerbe, Tourismus, Architektur in Schiers/ Prättigau/ Graubünden aus?- Was wird der Bildung in Schiers/Prättigau/Graubünden, insbesondere der ästhetischen, für eine Chance der Sensibilisierung für die Fragen nach dem Zusammenleben in der Natur für Chancen eingeräumt?- Ist Kunst heute etwas, das auf die Bedürfnisse (etwa nach einer intakten Umwelt) der Menschen eingeht? Ist ein besseres Leben mit Kunst möglich?


Mit diesen persönlichen Gesprächen mit unterschiedlichen Leuten möchte ich eingreifen in den diffusen Bereich von Wahrnehmen, Wissen und Voraussetzen. Welche Blickwinkel sind den Bewohnern gegeben, welche sind genommen, welche sind verheissen?